27. Oktober 2023
Beschwerdemechanismus in unseren Lieferketten – eine Zusammenfassung für 2022/23
Als Mitglied von amfori verpflichten wir all unsere Lieferanten in Hochrisikoländern dazu, ein effektives System für Beschwerden und Vorschläge von Beschäftigten zur Verfügung zu stellen. Diese werden im Rahmen von unabhängigen Sozialaudits und eigenen Assessments mindestens bei unseren Konfektionären geprüft. Lieferketten, die beispielsweise nach dem Global Organic Textile Standard (GOTS) zertifiziert sind, verpflichten sich per Standard ebenfalls dazu, einen funktionierenden Beschwerdemechanismus vorzuweisen, der während der jährlichen Audits kontrolliert wird. Um die Effektivität dieser Systeme zu beurteilen, fragen wir ab, welche Mechanismen bei den Zulieferern implementiert sind, und schätzen deren Wirksamkeit auf Basis der erhaltenen Informationen und Dokumentation ein. Dies geschieht im Rahmen eigener Assessments unserer Partnerinnen und Partner vor Ort, vor allem aber auch bei persönlichen Besuchen von Beschäftigten der Nachhaltigkeits- oder Einkaufsabteilung in den Produktionsstätten. Dabei werden neben dem Management auch Arbeiterinnen und Arbeiter zu dem Umgang mit Beschwerden befragt.
Über den Responsible Sustainability Council (RSC, ehemals ACCORD-) Beschwerdemechanismus erreichten uns im Jahr 2022 insgesamt 5 Beschwerden, wovon bis Dezember 2022 nur eine Beschwerde noch im Untersuchungsprozess war. In Zusammenarbeit mit unseren Partnern und Partnerinnen vor Ort setzen wir uns mit dem jeweiligen Fabrikmanagement und den betroffenen Arbeitenden in Verbindung, um den Sachverhalt zu prüfen und ggf. entsprechende Maßnahmen zu adressieren. Die eingegangenen Beschwerden bezogen sich auf insgesamt 4 zu dem Zeitpunkt aktive Lieferanten. Mit zwei der betroffenen Lieferanten haben wir im Laufe des Jahres die aktive Geschäftsbeziehung aus Gründen der Wirtschaftlichkeit sowie unzureichenden Partnerschaft eingestellt. Die über den RSC eingegangenen Beschwerden bezogen sich vornehmlich auf ausbleibende Zahlungen von Gehältern beim Ausscheiden von Fabrikmitarbeitenden aber auch auf ernstzunehmende Sicherheitsmängel. Beispielsweise äußerte ein Angestellter einer Fabrik Sicherheitsbedenken bezüglich des Fabrikgebäudes aufgrund von Schäden im Gemäuer, die durch ein Erdbeben verursacht wurden. Um die strukturelle Sicherheit zu überprüfen, entsandte der RSC einen Ingenieur zur Durchführung einer Inspektion. Nach dessen Bestätigung der erheblichen Sicherheitsmängel wurde die Fabrik verpflichtet, die nötigen Abhilfemaßnahmen durchzuführen. Die Sanierungsarbeiten wurden gemäß den Vorschlägen des Bauingenieurs durchgeführt und abgeschlossen. Zur Prüfung und Genehmigung wurden vorerst verschiedene Beweisunterlagen der abgeschlossenen Arbeiten vorgelegt und schließlich zwei weitere Abnahmeinspektionen von einem RSC-Ingenieur durchgeführt. Dabei konnte festgestellt werden, dass die geforderten Reparaturmaßnahmen fachgerecht durchgeführt wurden und die Sicherheit des Gebäudes wieder gewährleistet wurde.
Bei den im Rahmen von Fabrikbesuchen geprüften Fällen in BD, IN und TR im Jahr 2022 und 2023 konnte festgestellt werden, dass es beim überwiegenden Teil der Lieferanten verschiedene interne und/oder externe Möglichkeit für ArbeiterInnen gibt, ihre Belange zu kommunizieren. Bei einem Großteil der Fabriken gibt es einen formulierten & umgesetzten Prozess zum Umgang mit Beschwerden mit schriftlicher Dokumentation, Verantwortlichen und definierten Fristen. Beschwerden können anonym eingereicht werden und werden dann von unterschiedlichen Stellen untersucht und bearbeitet, z.B. vom Compliance Manager, von der Arbeitnehmervertretung oder einem speziellen Komitee für Beschwerden. Manche Fabriken beziehen auch NGOs in ihren Beschwerdemechanismus ein. Oftmals geht es um Kleinigkeiten, wie fehlende Seife auf den Toiletten, kaputte Ventilatoren oder die Qualität des Kantinenessens. Manchmal geht es aber auch um Sicherheitsmängel wie kaputte Notbeleuchtung oder verstellte Notausgänge, auf die Beschäftigte hinweisen und die dann von dem zuständigen Komitee untersucht und korrigiert werden. Bei der Überprüfung der eingeleiteten Verbesserungsmaßnahmen konnte in den meisten Fällen festgestellt werden, dass diese korrekt und passend zur Beschwerde ergriffen wurden. Als Best Practice gab es in manchen Fabriken ein Feedback-Mechanismus, ob die Arbeitnehmerin oder der Arbeitnehmer mit der Lösung zufrieden war. Dies wurde auch weiteren Fabriken empfohlen, um die Qualität des eigenen Mechanismus zu verbessern.
Viele Fabriken, vor allem in Bangladesch, führen regelmäßige Schulungen, insbesondere für neue MitarbeiterInnen durch, in denen über das Vorhandensein und den Umgang mit dem Beschwerdemechanismus informiert wird. Etliche Poster in den Fabriken weisen auf den Mechanismus hin. Hier besteht teilweise die Gefahr, dass zu viele verschiedene Tools zu Unsicherheit fühlen, welcher gewählt werden sollte. In Bangladesch zeigte sich, dass das Tool vom RSC das meistgenutzte ist. Back-Up-Tools von Brands werden auch in anderen Ländern, wie Indien oder der Türkei, nur selten genutzt.
Die Tatsache, dass vor allem in Bangladesch regelmäßig Beschwerden eingereicht werden, zeigt, dass der Mechanismus von den ArbeiterInnen genutzt und verstanden wurde. Bei manchen Fabrikbesuchen wurde festgestellt, dass z.B. Boxen in wenig geschützten Bereichen, wie dem Eingang der Fabrik, aufgehängt wurden oder die Boxen beschädigt oder offen waren, was wenig einladend ist. In derartigen Fällen wurden dem Lieferanten Verbesserungen vorgeschlagen. Einige Fabriken informieren die Belegschaft über die eingegangenen Beschwerden & Maßnahmen am schwarzen Brett, dies wurde anderen als Best Practice empfohlen, sofern umsetzbar. Viele Fabriken thematisieren die eingegangenen Beschwerden und möglichen Verbesserungsmaßnahmen in Management Meetings und/oder im Rahmen von Komitee-Sitzungen.
Fazit: Die Qualität von Beschwerdemechanismen lässt sich für den Großteil der berücksichtigten Lieferanten als entweder sehr effektiv oder sehr uneffektiv bewerten. Wenn es einen „echten“ Beschwerdemechanismus gibt, sind in der Regel einen Großteil der Kriterien der VN-Leitprinzipien erfüllt, an denen sich die Effektivität eines Mechanismus bewerten lässt. Ein Beschwerdemechanismus auf dem Papier, z.B. nur in Form einer Suggestion Box, ohne Arbeiter zu schulen oder die Umsetzung mit ArbeiterInnen zu thematisieren, kann relativ schnell als uneffektiv identifiziert werden.
Seit Mai 2023 sind wir Mitglied der Textilbündnisinitiative zur Implementierung des Fairwear Foundation Beschwerdemechanismus in nominierten Fabriken in Indien und der Türkei. Das Engagement soll zur Verbesserung der Effektivität bestehender Mechanismen beitragen und dient uns als Lehrquelle, um die Effektivität besser beurteilen zu können. Die „lessons learned“ können im Anschluss auf weitere Lieferanten übertragen werden.
Für weitere Informationen wendet euch bitte an: sustainability@brands-fashion.com